Eine Erfolgsgeschichte bahnt sich an - Burgtheaterverein kann eine große Musical-Tradition begründen

Das ist mit den Musicals ja so eine Sache; nicht jeder mag diese moderne Version des Singspiels ­oder gerade deswegen, weil es seit seinem herausragenden Protagonis­ten Andrew Lloyd Webber so viele musikalische Ohrwürmer hervorge­bracht hat, die man, wenn man sie hört, dann tagelang vergnügt vor sich hinsummt oder -pfeift. Und weil Musicals allgemein so locker und beschwingt daherkommen.

Trotzdem sagt sich mancher Freund der darstellenden Kunst: Wenn schon Theater, dann Schau­spiel, und wenn schon Singen auf der Bühne, dann Oper. Und so wid­men sich auch die zahlreichen, som­merlichen Freilichtbühnen in Niederbayern/Oberpfalz fast aus­schließlich dem Schauspiel, sei es in Form von traditionellen Historien­aufführungen, wie beim "Trenck der Pandur" in Waldmünchen oder der "Agnes Bernauer" in Straubing, oder Mysterienspielen, wie beim „Further Drachenstich ", oder eben dem Schauspiel in Form von klassi­schen Stücken oder modernen und/ oder bairisch stilisierten Dramen, wie in Bad Kötzting und anderswo.

Es gibt nun mittlerweile aller­dings einen (übrigens bekannterma­ßen sehr malerischen) Ort im Land­kreis Straubing-Bogen, der sich dem Massentrend widersetzt - und damit ganz offenbar am Anfang einer gro­ßen Erfolgsgeschichte steht. Der Burgtheaterverein Mitterfels hat im Jubiläumsjahr seiner zehnjährigen Burgfestspiele - die am Samstag­abend zu Ende gingen - das Musical "My Fair Lady" (stammt übrigens nicht von Andrew Lloyd Webber) auf die Bühne gebracht, und nicht nur Beifallstürme eines vollends hingerissenen Publikums geerntet, sondern, was in diesen Kategorien der Laienschauspielkunst höchst selten ist, stehende Ovationen (zu­mindest war es bei der Aufführung am Donnerstagabend so), die schier gar nicht mehr enden wollten.

Nachdem es vor einigen Jahren mit einfacheren Stücken und Sing­spielen, wie der "Holledauer Fidel" oder "Lumpazivagabundus", die auch schon sehr, sehr ordentlich dargeboten wurden, begann, folgte "Das Wirtshaus im Spessart", ver­gangenes Jahr "Der Mann von La Mancha" . Damals glaubte man schon, die Mitterfelser Laienspiel­schar sei definitiv an ihren Grenzen angekommen, und doch hat sie es geschafft, die Grenzen noch einmal zu verschieben, gehörig auszudeh­nen, mit diesem Musical in die aller­erste Kategorie des ostbayerischen Laien-Freilichtspieltheaters (das ja mittlerweile an bald hundert Orten dargeboten wird) vorzustoßen. Mit an der Spitze jener Ensembles, die jedes Jahr spielen, marschieren nach wie vor die Bad Kötzinger, die Rim­bacher (bei Bad Kötzting) oder die Falkensteiner. Sie haben sich eine jahrzehntelange Profession aufge­baut. Sie spielen - als Amateure - im semiprofessionellen Bereich. Bei ih­nen hat, bzw. er macht es immer noch, der ostbayerische Theaterpro­fi und Intendant des Pfalz-Theaters Kaiserslautern, Johannes Reitmeier, ein gebürtiger Kötztinger, Regie ge­führt. Auch bei der „Bernauerin" in Straubing übrigens.

Und nun die Mitterfelser. Wo denn die bei den Hauptdarsteller Schauspielunterricht gehabt hätten, fragt der Autor dieser Zeilen, über­rascht vom hohen Spielniveau, in der Aufführungspause einen Mitter­felser Kenner der Szene. "Nir­gends", lautet die prompte Antwort. "Was heißt denn nirgends? Wo ist dieses Nirgends? Wollen Sie damit sagen, dass die äääh ... auf diesem Niveau ... äääh ohne jemals auch nur eine Minute Schauspielunterr­richt ... ?" - "Genau so ist es, mein lieber Herr. Das ist Mitterfels!"

Gute Schauspielaufführungen gibt es an mehreren Freilichtbüh­nen, insbesondere im Bayerischen Wald. Selbige sind zum Teil auch noch malerisch bis romantisch gele­gen, an Burgruinen, auf Bergeshö­hen, inmitten von Wäldern. Aber wer nun kann schon mit einem welt­bekannten Musical glänzen, und das in dieser Qualität in der Spitze und in der Breite des Schauspielerem­sembles, der Sänger und Musiker! Wenn der Mitterfelser Burgtheater­verein auf diesem Wege weiter macht, stößt er nicht nur in eine große Lücke, dann hat er ein Alleinstellungsmerkmal, das weit um Auf­sehen erregen wird, und er kann eine Erfolgsgeschichte schreiben, schnel­ler als andere, die dazu Jahrzehnte gebraucht haben.

Der Mitterfelser Burgtheaterverein hat allerdings auch eine Insti­tution im Rücken wie andere nicht, und für die das Musiktheater wie gerufen kommt: die Kreismusik­schule, die zwar bei "My Fair Lady" ebenfalls ihre Grenzen vor Augen hatte, aber als geschlossenes musi­kalisches Ensemble bereits die ver­gangenen Jahre die Mitterfelser Aufführungen beflügelte und in die­sem fulminant die Akteure nicht nur begleitete, sondern trieb. Und dazu noch der Singkreis, der den musika­lischen Teil optimal ergänzt.

Ob sich freilich das "My-Fair-La­dy"-Niveau Jahr für Jahr und belie­big wiederholen lässt, ist freilich ei­ne andere und lange noch nicht be­antwortete Frage. Und das Risiko ist gar nicht klein, dass sich der Burg­theaterverein übernimmt und das Ganze als Bumerang zurückkommt. 2011 zum Beispiel wird der männli­che Hauptdarsteller, der des einge­fleischten Junggesellen Professor Higgins, den Part des Herzogs Alb­recht bei den Straubinger Bernauer-­Festspielen übernehmen. Ob auch die Tatsache, dass die Bühnenan­ordnung und die Zuschauerränge auf der Mitterfelser Burg gedreht wurden, das Spiel beflügelt, ist defi­nitiv nicht eindeutig beantwortet.

Apropos "My Fair Lady": Das Musical lief nach der Uraufführung im März 1956 fast sieben Jahre am Broadway in New York und brachte es dort auf 2281 Vorstellungen. So viele werden es in Mitterfels ver­mutlich nicht werden ...


Bericht : Kulturszene SR-Tagblatt 12.07.2010 ( B e r n h a r d S t u h l f e I n e r ), Bild : erö